Produktneutrale Ausschreibung
Eigentlich muss der öffentliche Auftraggeber produktneutral ausschreiben. Das gilt jedoch nur eingeschränkt. Möglich ist unter bestimmten Voraussetzungen
(1) die Beschreibung des Beschaffungsgegenstandes durch Verweis auf ein bestimmtes Produkt mit dem Zusatz "oder gleichwertig" (Rechtfertigung aufgrund mangelnder Beschreibbarkeit) oder
(2) die Beschaffung eines bestimmten Produktes (Rechtfertigung durch den Auftragsgegenstand).
Es ist also zu unterscheiden:
1. Mangelnde Beschreibbarkeit
Bei der Bezeichnung des Beschaffungsgegenstandes kann es vorkommen, dass der Auftragsgegenstand nicht hinreichend genau und allgemein verständlich beschrieben werden kann, ohne ein bestimmtes Leitfabrikat (Software „X“) zu benennen. Dabei ist der Verweis auf dieses Leitprodukt mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ zu versehen. Taugliche Leistung sind demnach die Software „X“ und jede Konkurrenz-Software, die gleichwertig ist. Die praktische Relevanz ist eher gering, da eine mangelnde Beschreibbarkeit einer Leistung oder eines Produkts sehr selten vorkommt, am ehesten wohl dann, wenn sich eine bestimmte produktbezogene Bezeichnung so durchgesetzt hat, dass sie in den fachlichen Sprachgebrauch übergegangen ist und deshalb eine produktneutrale Beschreibung missverständlich wäre (Beispiel: google.de für eine Suchmaschine).
2. Beschaffung eines bestimmten Produktes
Das Verbot der produktneutralen Ausschreibung im eigentlichen Sinne bedeutet, dass (eigentlich) keine bestimmten Erzeugnisse, Verfahren, Ursprungsorte, Patente oder Typen bzw. eine bestimmte Bezugsquelle, Produktion, Herkunft oder Marke durch den öffentlichen Auftraggeber vorgegeben werden dürfen. Es geht also um die Beschaffung bspw. eines Dienstwagens der Marke „X“ oder der Standard-Software „Y“.
Schreibt der öffentliche Auftraggeber nicht produktneutral aus, ist eine Rechtfertigung erforderlich. Dafür liegen die Anforderungen nicht so hoch, wie oft gedacht wird. Diese Anforderungen sind:
Es müssen sach- und auftragsbezogene Gründe vorliegen. Solche Gründe können sich insbesondere aus der besonderen Aufgabenstellung (zum Beispiel auch dem Erfordernis der Kompatibilität mit Bestandsprodukten), der Nutzung der Sache (zum Beispiel dem Einsatz unter speziellen Bedingungen) oder sogar gestalterischen Anforderungen ergeben.
Dem Auftraggeber steht bei der Einschätzung, ob sach- und auftragsbezogene Gründe vorliegen, ein Beurteilungsspielraum zu. D.h. dass Gerichte nicht überprüfen, ob die vom Auftraggeber zugrunde gelegten Gründe „richtig“ und zweckmäßig sind. Die Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Produkt- oder Verfahrensvorgabe durch den Auftragsgegenstand sachlich gerechtfertigt ist, ob der Auftraggeber nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben hat, die Bestimmung willkürfrei getroffen worden ist, die Gründe tatsächlich vorhanden sind und die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiert (herrschende Rechtsprechung).
(Von einigen wenigen Gerichten wird aber mehr verlangt: Danach soll der Auftraggeber sich zunächst einen möglichst breiten Überblick über die Markt verfügbaren Lösungen verschafft und positiv feststellen, warum die durch die produktbezogene Ausschreibung ausgeschlossenen Lösungsvarianten nicht in Betracht kommen.)
Geklärt ist aber, dass der Auftraggeber nicht dazu verpflichtet ist, einen Beschaffungsgegenstand zu wählen, der zum Unternehmenskonzept und zur Leistungsfähigkeit aller potentiell am Auftrag interessierten Unternehmens passt — denn bei der Entscheidung, was beschafft wird, ist die Vergabestelle frei.
Formale Voraussetzung: Vergabevermerk. In jedem Fall ist erforderlich, dass ein Vergabevermerk vorliegt, aus dem sich ergibt, dass die oben genannten Voraussetzungen vorliegen.
Dr. Martin Dimieff
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